Der zweite Teil der LoBiN-Filmreihe stand im Zeichen systemischer Beratung und Therapie
Das Rottenburger Waldhorn-Kino ist als Programmkino bekannt für seine besonderen cineastischen Angebote jenseits von Hollywoods Blockbustern. Eine Veranstaltung besonderen Formats gab es dort am vergangenen Mittwoch: „Alles steht Kopf – Systemisches Handeln im Erziehungsalltag“.
Stefan Schmeckenbecher, Projektkoordinator des Lokalen Bildungsnetz‘ Rottenburg lud zusammen mit Netzwerkpartner und Kinobetreiber Elmar Bux den Gründer und Leiter des Rottenburger Instituts für Systemische Supervision, Frieder Pfrommer ein.
Knapp 100 Personen interessierten sich für Ausschnitte des Pixar-Animationsfilms „Alles steht Kopf“, die vom jahrzehntelang erfahrenen Jugend- und Familientherapeuten Pfrommer systemisch interpretiert wurden.
Dabei zeigte sich, dass sich der Film geradezu als Lehrfilm zum Thema systemisches Denken und Handeln eignet: Die 11-jährige Riley zieht mit ihren Eltern von Minnesota nach San Francisco und erlebt an ihrem ersten Schultag ihr psychisches Fiasko, als sie sich vor ihrer neuen Klasse vorstellt und beim Erzählen vor Heimweh in Tränen ausbricht. Neben der Handlung im Außen sieht der Zuschauer quasi in den Kopf des Mädchens und erlebt ihre fünf Grundgefühle Freude, Kummer, Angst, Ekel und Wut bei der Arbeit in der Kommandozentrale.
„So darf man sich durchaus auch das Konzept des Inneren Teams nach Schulz von Thun vorstellen“, erklärt Pfrommer, dem Moderator Schmeckenbecher die Bälle in Form von Einstiegsfragen nach den drei Filmsequenzen zuspielte. Auch das Publikum war eingeladen Fragen zu stellen und eigene Beispiele oder Diskussionsbeiträge einzubringen. So offenbarten sich viele Fachleute unter den Kinobesuchern, die mit den Grundlagen der Systemik umgehend vertraut waren.
Welche Reaktion des Vaters wäre beispielsweise wohl die richtige gewesen, als er von seiner Frau beim gemeinsamen Abendessen per Augenzwinkern auf die unglücklich wirkende Tochter aufmerksam gemacht wird? Die Maßnahme der väterlichen Kommandozentrale „Machtwort sprechen“ deutete er als Erziehungserfolg gegenüber Rileys mürrischem Verhalten. Die Folge ist eine allseits vertraute Eskalation eines Familienkonflikts und Rileys zuknallende Zimmertür.
„Anstatt seine Unsicherheit einzugestehen und mit echtem Interesse auf die Gefühlslage seiner Tochter einzugehen, agiert der Vater vermeintlich stark und verpasst die Chance, tatsächlich in Kontakt zu treten“, analysiert Pfrommer die Situation.
Überhaupt markierten die Filmausschnitte laut Schmeckenbecher auch ein gesellschaftliches Phänomen: Gute Laune und Fröhlichkeit seien allseits willkommen und würden als Schlüssel eines glücklichen Lebens verstanden. Hingegen zeige die Schlüsselszene des Films – und auch hier liege eine besondere Nähe zum systemischen Beratungs- und Therapieansatz – dass erst die Integration der unangenehmen Gefühle, wie Trauer oder Angst, tieferes Verständnis und tragfähige Beziehung zwischen Eltern und Kind ermöglichen.
Pfrommer schließt den Abend nach einer knapp zweistündigen Mischung aus Unterhaltung und Einblicken in systemische Therapie mit einem Gedicht von Virginia Satir, die auch als Begründerin der systemischen Familientherapie betitelt wird, und seiner Empfehlung, den Aufwand und Mut zu echtem Austausch in der Familie aufzubringen. Grundlage gelingender Beziehung unter den Familienmitgliedern sei in erster Linie offene Kommunikation, die alle wahrgenommenen Gefühle ausdrücklich einschließe, nicht vermeintlich richtiges oder falsches Verhalten.